Argentinien


 

 

 

 

 

Plata, plata plata (September 2022)

Wie machen die Argentinier das nur – überleben mit 100% Inflation und dennoch gelassen bleiben? Zumindest haben wir den Eindruck von entspannter Lebendigkeit als wir durch Buenos Aires flanieren. In den großzügigen Parks wird Yoga praktiziert, gefrühstückt, Ball gespielt, gechillt, diskutiert und jede Art von OutdoorSport betrieben. Bewundernswert!

Wir brauchen jedenfalls Geld – plata. Von anderen Reisenden wissen wir, dass man bei Western Union Überweisungen den sogenannten "Blue Dollar Kurs" bekommt, das ist immerhin doppelt soviel wie auf einer Bank. Also auf zu einer der Hauptfilialen von Western Union. Geduldig stellen wir uns in die lange Warteschlange, ausgestattet mit Reisepass und den notwendigen Codes zur Abholung. Nach 1 Stunde sind wir endlich bei einer Koje, wo uns eine freundliche Dame, die allerdings nur Spanisch spricht, begrüßt. Alles scheint problemlos zu laufen, als sie plötzlich bedauernd sagt, dass sie uns das Geld nicht geben kann. Unsere Namen im System von Western Union würden nicht mit unseren österreichischen Pässen übereinstimmen. Dort sind unsere akademischen Titel beim Familiennamen angeführt, nicht jedoch bei ihr im Computer. Wir versuchen es mit Überreden, aber da geht nichts. Die Wartenden hinter uns werden ungeduldig. Der junge Geschäftsführer kommt und erklärt uns das Dilemma noch einmal. Der einzige Ausweg wäre, bei Western Union Österreich anzurufen und unsere Namen im System ändern zu lassen. Mein Einwand, dass am Telefon unsere Identität nicht überprüft werden könnte, er das aber anhand der Pässe sehr wohl machen kann, macht ihn nachdenklich, ändert aber nichts. Schließlich ruft er selbst an, übergibt uns sein Handy und innerhalb weniger Minuten ändert die deutschsprechende Dame in Litauen (!) unsere Namen im System. Schwuppps bekommen wir das Geld und alle sind sehr, sehr erleichtert.

Erfreut, aber auch verwirrt sitzen wir wenig später in einem netten Café. Selten entlarvt sich ein bürokratisches System so deutlich, wie in diesem Fall. Aber Hauptsache wir haben "plata" zu günstigen Konditionen und können wieder die entspannte Atmosphäre von Buenos Aires genießen.


 

 

 

 

"No camping.... - ningún problema!" (September 2022)

In San Miguel del Monte, einem recht hübschen Ort mitten in der argentinieschen Pampa, möchten wir am See übernachten. Der Camping Municipal ist geschlossen. Wir folgen der schmalen Straße entlang des Sees, überall stehen "no camping" Schilder oder es sind Grillplätze eingerichtet. Einer dieser Plätze ist offensichtlich aufgelassen – verfallene Steintische, eine kaputte WC Anlagen deuten darauf hin. Eine Familie packt gerade alles für einen gemütlichen Nachmittag aus. Der Vater zündet im Rest einer Grillstelle Feuer an, die Kinder und seine Frau kramen eifrig Essen und Geschirr aus dem Kofferraum. Wir fragen, ob man hier bleiben könnte – "naturalmente!" hören wir. Also suchen wir uns eine ebene Fläche ohne Müll und richten uns ein.

Kaum halten wir unsere Campari Orange in der Hand, steuern 2 Männer auf uns zu. Beide in Zivil, aber einer trägt sichtbar eine Pistole am Gürtel. Freundlich, aber bestimmt weisen sie uns darauf hin, dass wir hier nicht bleiben dürfen. Sie erklären uns, dass der Eigentümer die Pacht nicht mehr zahlen konnte und jetzt läuft ein Verfahren. Wir sind verunsichert. Offensichtlich sieht man das in unseren Gesichtern, denn plötzlich sagt einer, wir sollten uns doch ans Ufer neben dem Camping Municipal stellen. Wir sind erstaunt, denn dort sind ja überall Campingverbotsschilder. "Ningún problema" hören wir. Beide lachen, schicken uns die Koordinaten aufs Handy und wünschen uns einen guten Aufenthalt. 

Wir fahren zum angegebenen Ort, suchen uns einen schönen Platz unter Bäumen und vertrauen auf die freundlichen Männer. Einige Einheimische grüßen uns aufmerksam, die Polizei fährt vorbei, ohne von uns Notiz zu nehmen. Abends beobachten wir Enten und Gänse, wie sie friedlich ins Abendrot schwimmen.

Dankbar schicken wir ein SMS an die beiden und haben wieder einmal gelernt, dass Verbote in fremden Ländern eventuell anders ausgelegt werden, als bei uns.


 

 

 

 

 

 

Ein unerwartetes Geschenk (Oktober 2022)

Der kleine Hafen Puerto San Julia ist ein geschichtsträchtiger Ort: Hier überwinterte die Magellan Flotte im Jahr 1520. Magellan traf hier nicht nur auf Einheimische, die er als "Riesen" beschrieb und "Patagonier" (=Großfüße) nannte, sondern musste sich auch mit einer Meuterei herumschlagen. Ein Schiff im Hafen und ein kleines Museum erinnern an diese Ereignisse.

Wir brauchen wieder einmal einen "maintenance day" und bleiben auf dem beschaulichen Camping Municipal. Im Ort suchen wir uns eine Wäscherei für unsere Bettwäsche und werden auch fündig. Am nächsten Tag sei alles fertig, beteuert der Besitzer.

Und wirklich, pünktlich liegt unser frisch gewaschenes Wäschepaket bereit. Ich bezahle und plötzlich drückt mir der Chef der Putzerei ein kleines steinernes Souvenir mit den Abbildungen der Hände aus der "Cueva de los Manos" in die Hand. Ob wir schon dort waren, will er wissen, und betont eindringlich, wie bedeutsam dieses Vermächtnis der Indigenen ist. Das Souvenir ist ein Geschenk und soll für uns eine Erinnerung sein.

Ich kann es kaum glauben und freue mich ehrlich, denn mit so einer Geste habe ich  überhaupt nicht gerechnet. Das kleine Souvenir hat uns die ganze Reise begleitet und schließlich in unserem Reisezimmer einen würdigen Platz bekommen.


 

 

 

 

Das Erbe der Militärdiktatur? (November 2022)

Chos Malal ist eine unansehnliche Kleinstadt an der Ruta40. Wir brauchen Diesel, also auf zur nächsten Tankstelle. Dort hat sich eine lange Autoschlange gebildet, weil 2 Tankwagen die Einfahrt blockieren. Ein kompliziertes Einbahnsystem zwingt uns um die nächsten beiden "Quadras" zu kurven, wir hoffen so an das Ende der Schlange zu kommen. Wir überqueren die letzte Kreuzung und reihen uns ein. Plötzlich beginnt ein Hupkonzert hinter uns – offensichtlich haben wir doch 2 Autos übersehen, die hinter der Kreuzung auch schon angestellt waren. Da wir nicht  noch einmal die Quadras umrunden wollen, winke ich freundlich nach hinten und bitte in Zeichensprache, doch mit uns unwissenden Ausländern Nachsicht zu haben.

Nach zirka einer halben Stunde stehen wir endlich bei einer Zapfsäule. Ein Tankwart kommt auf uns zu und erklärt uns recht aggressiv, dass er uns keinen Diesel geben wird. Ein Autofahrer hinter uns habe ihn darauf hingewiesen, dass wir uns nicht ordentlich angestellt hätten. Wir sollen die Tankstelle sofort verlassen.

Verdutzt schauen wir ihn an. Was soll denn das? Niemand hat während der langen Wartezeit  mit uns Kontakt aufgenommen, es gab keine weiteren Hupkonzerte, die uns aufmerksam machen hätten können, dass meine Entschuldigung nicht angenommen wurde.

Martin sagt dem Tankwart sehr deutlich, dass wir hier nicht wegfahren werden, solange wir keinen Diesel bekommen, und dass das die Geduld der wartenden Lenker sicher weiter strapazieren wird. Nach einigem Hin- und Her zwischen dem "Vernaderer" und dem Tankwart, können wir schließlich doch tanken und fahren weiter.

Verärgert und betroffen bleiben wir ein kurzes Stück weiter stehen. So etwas ist uns noch nie passiert. Natürlich haben wir – allerdings unabsichtlich - eine "Spielregel" verletzt. Solches "Fehlverhalten" passiert unweigerlich, sind doch die "social codes" in allen Ländern unterschiedlich und nicht immer leicht zu entschlüsseln. Bis jetzt wurde allerdings eine ehrliche Entschuldigung immer akzeptiert, meist wurden wir "unwissenden Ausländer" sogar freundlich vorgelassen.

Bedrückt stellen wir fest, dass uns dieses Verhalten an Denunziation erinnert. Vielleicht ist es ein Erbe aus der noch nicht lange zurückliegenden Militärdiktatur, wo die Bevölkerung aufgerufen war, Fehlverhalten von Mitbürgern den Behörden geheim zu melden.

Wir haben jedenfalls die Regeln fürs Anstellen verinnerlicht und halten uns ab sofort ganz genau daran.


 

 

 

 

 

Kunst und Wein ermöglichen Begegnungen (November 2022)

Unsere Containerpartner Sylvia und Holger, zwei sehr kunstaffine Menschen, haben uns ans Herz gelegt, das Weingut Colomé zu besuchen – es sei ein Juwel.

Das schweizer Ehepaar Donald M. und Ursula Hess haben 2001 Colomé, das ältestes Weingut Argentiniens (aus dem Jahr 1831), gekauft und experimentieren seither mit dem Anbau von Rebsorten in großen Höhen. Das Weingut selbst liegt auf 2.600m, Reben werden bis auf 3.111m kultiviert. Dies ist allerdings nicht das einzig Besondere. Donald Hess errichtete in dieser Einsamkeit für seinen Freund und Lichtkünstler James Turrell ein Museum. Hier ist wahrlich ein idealer Ort für Lichtinstallationen, in dieser abgelegenen Landschaft völlig ohne Lichtverschmutzung.

Das Museum kann nur im Zuge einer Weinverkostung und gegen vorherige Anmeldung besucht werden. Wir sind frech und fahren einmal einfach hin. Eine abenteuerliche Piste führt uns durch Canyons und über Hügel zur vornehmen Bodega. Dort werden wir professionellst empfangen und können - nach freundlichem und eindringlichem Nachfragen - auch wirklich am nächsten Tag bei einer Weinverkostung mit Museumsführung teilnehmen. Unsere Freude ist groß.

In elegantem Ambiente versammeln sich schließlich 5 Paare um kunstvoll arrangierte Weinflaschen. Alle lauschen wir den Erklärungen der jungen Sommeliers, die aufmerksam  bemerkt haben, dass unser Spanisch nicht wirklich gut ist. Daher wird immer wieder ins Englische übersetzt. 

Neben mir steht eine elegante Dame. Sie lächelt mich an und sagt, dass sie sehr gut Englisch spreche und ich sie jederzeit um Informationen fragen könne. Am kurzen Weg zum Museum entspannt sich zwischen uns ein angeregter Dialog über unsere Reise, über Kunst und ihr Leben in Buenos Aires. Ehrfürchtig und schweigend lassen wir dann die Lichtinstallationen auf uns wirken, die scheinbar eine weitere Dimension im Raum eröffnen. Entspannt sitzen wir dann im Innenhof des Museums, als Alejandra und ich fest stellen, dass wir ganz ähnlich über die Kunstwerke denken und empfinden.

Bereichert durch Wein, Kunst und diese kurze, intensive Begegnung müssen wir uns verabschieden. Für uns kurzfristig eingeschobene Besucher war für das anschließende Lunch kein Platz mehr frei, was uns nichts ausmacht

Wochen später erreicht mich ein WhatsApp von Alejandra mit der Einladung, sie und ihren Mann doch in Buenos Aires zu besuchen. Sie erinnert sich gerne an die Begegnung und würde sich freuen uns "ihr" Buenos Aies zu zeigen.

Leider können wir die Einladung nicht mehr annehmen, denn zu diesem Zeitpunkt ist unsere Rückfahrt schon organisiert. Trotzdem erfüllt mich die Erinnerung an diese Begegnung mit Wärme und Freude. Es ist schön zu wissen, dass es Menschen auf der Welt gibt, die ähnlich ticken, und es ist noch schöner, wenn es einem vergönnt ist, ihnen persönlich zu begegnen.


 

 

 

 

Erholung bei Freunden (Jänner 2023)

Nach unserem Bruch des Differentials auf 4.600m und der Tatsache, dass wir von nun an kein 4x4 mehr sind, müssen wir unsere Reise völlig umplanen. "Carry Cappuccino like a baby" – diesen Rat von Allrad Christ nehmen wir sehr ernst. Das heißt nicht zu viele Kilometer mehr fahren bis zur Verschiffung in Montevideo und vorallem jede holprige Piste, große Steigungen  oder matschigen Untergrund meiden. Das fällt uns sehr schwer, liegen doch die interessanten Plätze oft nicht an der asphaltierten Straße.

"Just come round", das sagen Frances und Alejandro. Sie leben in La Cumbre, etwas nördlich von Cordoba, in einer Gegend, die im 19. und 20. Jahrhundert von Engländern geprägt wurde. Unsere Söhne sind Freunde, so kam der Kontakt zustande.

Einige Tage dürfen wir ihre Gastfreundschaft in vollen Zügen genießen. Ihr wunderbarer Garten ist unser Campingplatz, das Pool macht die Hitze erträglich, ihr Hund passt gut auf uns auf. Da beide ausgezeichnet Englisch sprechen, gibt es keine Sprachbarrieren und wir können tief in das argentinische Alltagsleben eintauchen. Endlich verstehen wir ein wenig besser, wie sie täglich dem korrupten politischen System begegnen und trotzdem ihre Lebensfreude behalten. Wir werden mit Asado in allen Variationen verwöhnt, flanieren durch hübsche Artesenals und lernen ihren internationalen Freundeskreis kennen.

Hier erholen wir uns vom großen Schreck im Altiplano und finden unseren Optimismus zum Weiterreisen wieder. Was für ein Privileg mit so lieben Menschen Zeit verbringen zu dürfen!


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